Sammellager Schouwburg

Die fünfte Razzia war eine komplette Überraschung. Es war sieben Uhr abends. Annie war bei Nachbarn und wir erwarteten sie jede Minute zurück. Ich erinnere mich, dass die Nacht bitter kalt war. Diesmal klopften sie nicht an. Fünf von ihnen brachen die Tür auf und riefen. „Wo ist Margot Cohen?“ Papa Is fing an, sie anzuschreien. Er schlug zwei von ihnen. Aber sie lachten nur und schlugen ihn nieder. Dann schubste mich ein Soldat die Treppe runter. Ich hatte in dieser Nacht, als sie mich von meiner Pflegefamilie wegholten, mehr Angst als in meinem ganzen Leben.

Zunächst wurden wir zum Versammlungspunkt für alle Deportationen aus Amsterdam gebracht - dem Gebäude des Amsterdamer Schouwburg Theaters. Wir wurden alle in einen großen Raum ohne Möbel gebracht. Dort waren nur sehr, sehr viele Menschen. Kurze Zeit später begann die Trennung der Kinder von den Erwachsenen. Kinder unter 12 Jahren wurden aufgerufen. Sie wurden von SS-Leuten in einen anderen Raum gedrängt. Ich war froh, dass meine Eltern das nicht erleiden mussten. Dann wurden wir auf die andere Seite der Straße gebracht und in einem Kindergarten untergebracht (1). An manchen Tagen kann ich auch heute noch die Schreie der Kinder und Eltern hören, die von einander getrennt wurden.

Als wir im Kindergarten ankamen, musste ich dringend zur Toilette. Ich ging zu einem SS-Mann (2) und fragte ihn, ob ich, dass Badezimmer benutzern dürfe. Ich fragte dies auf Niederländisch, da ich meine Deutschkenntnisse vergessen hatte. Er verstand mich nicht und wurde böse, weil ich ihm lästig war. Er schlug mich mit dem Ende seines Gewehrs auf die Stirn und das Blut lief mir über´s Auge. Als ich bemerkte, dass ich verletzt war, fing ich an zu weinen und erst dann spürte ich den Schmerz. Mit meinem dreckigen Schal versuchte ich die Blutung zu stoppen. Später kam der SS-Mann zurück und verstand mich endlich. Er schubste mich zu den Toilettenkabinen. Als ich die Türe schließen wollte, öffnete er sie wieder und lachte ...(3).

Außenhof des Sammellagers Schouwburg in Amsterdam

In dem Sammellager wurden alle jüdischen Bewohner Amsterdams zusammengeführt,
bevor sie ins Durchgangslager Westerbork oder ins KZ Vught überführt wurden.
 (B1)

• (1) Nach Oktober 1942 wurden in der Schouwburg die Kinder von ihren Eltern getrennt und in einen Kindergarten auf der anderen Straßenseite gebracht. Die Schouwburg war total überfüllt. Es waren bis zu 1.3000 Menschen untergebracht und es gab 2 Herren- und drei Damentoiletten. Es war heiß, eng und es stank entsetzlich. http://www.hollandscheschouwburg.nl/en/history/deportation-centre/the-hollandsche-schouwburg
• (2) Die Schouwburg wurden von SS-Leuten bewacht. Unterstützung erhielten diese durch Mitglieder der nationalsozialistischen niederländischen Partei NSB.
  http://www.hollandscheschouwburg.nl/en/history/deportation-centre/the-hollandsche-schouwburg
• (3) Gefangenen war es nicht erlaubt, mit dem Wachpersonal zu sprechen. Alle Anliegen mussten durch den Judenrat geklärt werden. http://www.hollandscheschouwburg.nl/en/history/deportation-centre/the-hollandsche-schouwburg