Die Nacht, in der die Synagoge brannte
Ich kann mich immer noch an die letzten Tage in Deutschland
erinnern. Ich war damals noch sechs Jahre alt. Alles begann an einem
Dienstag im November 1938. Wir hatten den Eindruck, dass viele Deutsche
uns Juden nicht mochten. Jedoch waren wir uns anfangs nicht sicher, ob
dies stimmte. Doch diese Nacht brachte uns Klarheit. Seit dieser Nacht
wird die Nacht „Kristallnacht*“ genannt, da die deutschen SA- und
SS-Männer überall in Deutschland die Fensterscheiben von Juden
zerbrochen haben.
In der Nacht sind die Deutschen in unsere heilige
Synagoge eingebrochen. Es versetzte uns in Angst und Schrecken. Es
kamen so viele SS-Leute von allen Seiten. Sie schrieen laut und
lachten. Besonders als die Samtvorhänge vom heiligen Schrein rissen, in
dem die Thorarollen lagen. Meine Mutter brauchte mehrere Wochen und
Monaten um die Vorhänge anzufertigen. Sie arbeitete solange dran,
bis sie dann gut genug waren, um den heiligem Schrein zu bedecken. Die
SA-Leute begnügten sich aber nicht damit. Sie schütteten Benzin über
die Thorarollen und zündeten sie an.
In diesem Moment fing mein Vater
an zu weinen und stürzte sich auf die Rollen. Als die SA-Männer sich
umdrehten und ihn sahen, schlugen sie ihn mit ihren Gewehren nieder und
schliffen ihn nach draußen. Die Synagoge wurde ebenfalls angezündet.
Die Feuerwehr durfte das Feuer nicht löschen.
In dieser Nacht wurde
mein Vater verhaftet. Meine Mutter weinte und sagte uns, dass wir uns
nicht fürchten sollten. Ich wusste aber nicht, wie ich meine Angst
abstellen sollte, denn ich fürchtete mich in dieser Nacht mehr als in
meinem gesamten bisherigen Leben. Alles an was ich mich dann noch
erinnere ist, dass ich weinte und weinte. Ich versuchte zu schlafen
aber ich konnte nicht. Wir konnten alle nicht aufhören zu weinen. Mein
Vater kam achtzehn Stunden später nach Hause. Die "Kristallnacht*" ist
eine furchtbare Erinnerung, die ich niemals vergessen werde.
* heute wird diese Nacht
Reichspogromnacht genannt, da der Begriff "Reichskristallnacht" von den
Nationalsozialisten geprägt wurde. Im Text haben wird den Begriff
beibehalten, da er im Buch "Joseph und me" ebenfalls benutzt wird.
Brennende Synagoge in Goch an der
Herzogenstraße
(überarb. Foto )
(B1)
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