Ellen Hoffmann
Die Familie
Auftrittsverbot
Meine Freundin
Mutter kam ins Gefängnis
Umzug
Die Flucht
Deportation
Todesmarsch
Schicksal d. Angehörigen
Gedenken
Quellen

Auftrittsverbot

Meine Schwester Hannie und ich besuchten die Mädchenmittelschule in Goch*. Meine Freundinnen und ich liebten es, bei Veranstaltungen Tänze vorzuführen.  1934 nach einem wunderbaren Sportfest auf dem Viktoriaplatz schrieb der Ortsgruppenleiter Ernst Salzmann einen Beschwerdebrief an den Ortsgruppenführer des nationalsozialistischen Lehrerbundes. Dieser Herr Wagner musste die Beschwerde dann an unsere Schulleiterin Frau Flies weiterleiten. Er beschwerte sich darüber, dass ich als Jüdin bei diesem Fest öffentlich mit Klassenkameradinnen einen Volkstanz aufgeführt habe. Er schrieb außerdem, dass er nicht gewillt sei, eine derartige Frechheit hinzunehmen.

Meine Schulleiterin versuchte noch meine Teilnahme am Fest zu rechtfertigen. In ihrem Antwortschreiben (5) erwähnte sie, dass ich nur Halbjüdin sei. Mein Vater ist evangelisch, deshalb werde ich rein rechtlich als "Mischling I. Grades" bezeichnet. Rein rechtlich hätte ich an dem Fest teilnehmen dürfen, weil  "Mischlinge" bevorzugt behandelt wurden. Aber das war dem Ortsgruppenleiter egal. Für ihn galt nur die Devise „Jude ist Jude“. Von da an durfte ich nie mehr auftreten.

Ich war sehr traurig und hatte gar keine Lust mehr zur Schule zu gehen. Kurze Zeit später  musste ich wie viele jüdische Kinder  die Schule verlassen.

* (heute Gebäude A der Gesamtschule Mittelkreis)

hoftanz

Ellen (3. v.l.) bei der Vorbereitung eins Tanzfestes
auf dem Dach der Mädchen Mittelschule
(heute Gesamtschule)
(B1)


Beschwerdebrief des Ortsgruppenleiters Ernst Salzmann
an den Leiter des nationalsozialistischen Lehrerbundes (NSLB) Wagner
vom 27. September 1934

Beschwerdebrief

Beschwerdebrief des Ortsgruppenleiters
Salzmann an den Ortsgruppenleiter des Nationalsozialistischen Lehrerbundes Wagner
zur Weiterleitung an die Schulleiterin Anna Flies
(B2)

„Wie mir berichtet wurde, hat bei der volksdeutschen Kundgebung ein Mädel nichtarischer Abstammung bei den Volkstänzen mitgewirkt. Obwohl es der betreffenden Lehrerin bekannt sein dürfte, dass es mehr als Brauch ist, dass bei volksdeutschen nationalsozialistischen Veranstaltungen Personen nichtarischen Abstammung nicht zugelassen werden, hat man dieser selbstverständlichen Forderung nicht Rechnung getragen.

Ich bitte Sie als Ortsgruppenführer N.S.L.B., die betreffende Schulleiterin zu einer Stellungsnahme zu veranlassen und nach Möglichkeit dafür zu sorgen, dass auch in dieser Beziehung dem volksdeutschen und nationalsozialistischen Empfinden Rechnung getragen wird.

Ich bitte Sie als Ortsgruppenführer N.S.L.B., die betreffende Schulleiterin zu einer Stellungsnahme zu veranlassen und nach Möglichkeit dafür zu sorgen, dass auch in dieser Beziehung dem volksdeutschen und nationalsozialistischen Empfinden Rechnung getragen wird.

Heil Hitler

gez. Salzmann, Ortsgruppenleiter

N.b. Ich bin nicht gewillt, eine derartige Frechheit zu dulden und wundere mich, dass nicht ein Parteigenosse die sofortige Entfernung der Person veranlasst hat."






Schreiben des Ortsgruppenführers
des Nationalsozialistischen Lehrerbundes (NSLB) in Goch
an die Mittelschulrektorin Anna Flies vom 30. September 1934


N.S.L.B                                       Goch, den 30. September 1934
Ortsgruppe Goch

An Frau Mittelschulrektorin F L I E S

 G O C H

In der Anlage übermittele ich Ihnen die Abschrift eines Schreibens des Ortsgruppenleiters der N.S.D.A.P, das am 27 ds.Mts. mir zuging.

Ich bitte Sie ergebens, Ihre Stellungsnahme schriftlich niederzulegen und mir baldmöglichst zugehen zu lassen zu wollen.

Heil Hitler
Wagener
Ortsgruppenführer


Schreiben Ortsgruppenfuehrer NSLB vom 20.9.1934


Antwortbrief von die Mittelschulrektorin Anna Flies
aus das oben stehende Schreiben


.... 3. Oktober 1934


Auf das mir am 2. Oktober (...) durch Ihre Vermittlung zugegangenes Schreiben des Herrn Ortsgruppenleiters der NSDAP erwidere ich bezüglich der zu klärenden Angelegenheit zunächst grundsätzlich folgendes:

1.)  Es handelt sich bei der Schülerin Ellen Hoffman um eine Halbarierin, da der Vater Arier und zwar evangl. Christ gewesen ist. Diese Schülerinnen genießen aufgrund des Gesetzes den Vorzug vor Nichtariern, werden also in gewissen Fällen nicht auf eine Stufe mit ihnen gestellt.

2.)  Der Herr Kultusminister Rust hat in seinem Erlass, betreffend des Staatsjugendtags, verfügt, daß die an deutschen Schulen zugelassenen nichtarischen Schüler auch die Teilnahme an den nationalpolitischen   Belehrungen auf Wunsch zu gestatten ist. Ich fasse (diesen) den Erlaß als Entgegenkommen gegen diese Schüler auf, da das Gesetz sich ja nur gegen die Überfremdung der deutschen Schulen, nicht aber gegen den einzelnen Schüler richtet.

Zu unserem besonderen Falle erkläre ich, dass eine Auslese der Schülerinnen für den Tanz nicht stattgefunden hat. Die beiden Oberklassen wurden geschlossen zur Teilnahme aufgefordert. Voraussetzung für die Mitwirkung war allerdings, daß die Schülerin das zur Rolle passende Kleid zur Verfügung stellen konnte, weil keine Ausgaben gemacht werden sollten. — Es fügte sich so, daß gerade die erforderlichen durch 3 teilbare Anzahl von Mädchen sich meldeten, darunter die beanstandete Schülerin. Eine nachträgliche Zurückweisung wäre für sie als einzige eine unverdiente Kränkung gewesen, hätte auch die beiden anderen Partnerinnen zum Rücktritt gezwungen.

Ich lege gerade aus nationalen Gesichtspunkten Wert darauf, daß das betr. Gesetz von Nichtariern richtig aufgefaßt wird. Da die Schülerin nach Beendigung ihrer Schulzeit voraussichtlich nach Amerika übersiedelt, dürfte sie vielleicht häufig genug Gelegenheit haben. Missverständnisse über das im Ausland so sehr angegriffene Gesetz berichtigen zu helfen.

Der Nachschrift im Schreiben des Herrn Ortsgruppenleiters der NSDAP muß ich entnehmen, daß die Zurückweisung der betr. Schülerin als eine von uns beabsichtigte Herausforderung angesehen wird. Ich kann mir nicht denken, daß irgend ein Mitglied des Kollegiums der Mittelschule jemals zur Veranlassung gegeben hat, daß man eine derartige Geistesverfassung bei uns voraussetzen darf. Außerdem würde ja schon die Rücksicht auf die Veranstalter & den Zweck des Festes ein solches Verhalten verboten haben.

Ich kann nur annehmen, dass eine aus falscher Auffassung unseres Handelns hervorgegangen augenblicklichen Erregung (heraus veranlaßt haben kann) die Veranlassung dazu gewesen ist (sein kann), den Herrn Ortsgruppenleiter der NSDAP in dieser Sache zu bemühen.

Heil Hitler
Flies


Brief Anna Flies
Anna Flies Brief 2




Voßstraße 16

Anna Flies

Anna Flies
(B3)

Ernst Salzmann

Ortsgruppenleiter der NSDAP
Ernst Salzmann
(B4)

Schule

Mädchenmittelschule in den 30-er Jahren (heute Gesamtschule in Goch)
(B5)

Ellen Hoffmann Reigentanz 1932

Ellen Hoffmann
Reigentanz an der
Mädchenmittelschule
1932
(B6)





Dateiname:
eh_03.html
Datum:
21.06.15
Erstellt von :
J. Pickmann, M. van Bergerem
Text von:
R. Warrener
Fotografien:
B1, B5, B6 - StAG Bild Chronik d. Mädchenmittelschule
B2 - StAG - Schriftverkehr B201 - Anna Flies
B3 - StAG