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Rede - Gustaf-Adolf-Schule - Familie Cohen
Beitrag der Klasse 10B
zur Verlegung der Stolpersteine der Familie Cohen
Am 29.12.1938 schickten die Eltern Jakob und Elise Cohen ihre
beiden Kinder Margot, 6 Jahre, und Herbert, 7 Jahre, mit Hilfe eines
Bekannten heimlich über die Grenze nach Holland, in die erhoffte
Sicherheit. Später wollten sie ihnen folgen und mit ihnen gemeinsam
nach England ausreisen. Wir von der Gustav Adolf Schule haben versucht
einen möglichen Brief zu schreiben, den die Eltern den Kindern mit auf
die Flucht nach Holland gaben:
Goch, 28. Dezember 1938
Liebe Margot, lieber Herbert,
morgen ist es nun soweit. Auch wenn wir gehofft hatten,
niemals
diesen Schritt gehen zu müssen. Doch nun müssen wir euch beide, unsere
Engel, die wir über alles lieben und verehren und mit dem Leben
beschützen würden, in die Fremde schicken.
Das heißt, wenn ihr diesen Brief lest, werdet ihr wahrscheinlich schon
weit weg im Zug nach Holland sitzen und damit hoffentlich erst einmal
in Sicherheit sein. Und auch wenn Onkel Gerd bei euch ist, habt
ihr
sicher sehr viel Angst.
- Angst, weil ihr zwar erlebt habt, was in Goch alles in
letzter Zeit passiert ist, aber es noch nicht richtig versteht.
- Angst, weil alles so schnell gehen musste und wir euch
nicht richtig verabschieden konnten.
- Angst, weil ihr das erste Mal ohne uns in ein fremdes Land
müsst und nicht wisst, was dort in der Zukunft alles passieren wird.
Mutter und Vater schreiben euch diesen Brief, um euch eine
bisschen
von dieser Angst zu nehmen. Aber auch damit ihr besser versteht, warum
wir euch wegschicken mussten und keinen anderen Weg sahen, auch wenn es
uns das Herz bricht.
Ihr könnt euch sicher an die Zeit erinnern, als wir noch in der
Feldstraße 7 gewohnt haben. Zwar hatten wir nie viel Geld, aber zum
Leben hat es gereicht und wir waren zufrieden, glücklich und
unbeschwert. Ihr habt immer mit den Kindern von Onkel Gerd gespielt und
euch gefreut, wenn Papa von der Arbeit als Viehhändler nach Hause kam.
Leider war das Leben nach dem Berufsverbot im Jahre 1937 für
Vater
nicht mehr so unbeschwert. Vater musste viele kleine Hilfsarbeiten
machen und bekam dafür nur sehr wenig Geld. Das Essen war knapp, aber
wir haben die Hoffnung nicht verloren.
Als Vater dann 1938 eine Stelle als Hausmeister an der Synagoge und der
jüdischen Schule, hier an der Herzogenstraße 8, bekam, konnten wir alle
wieder aufatmen.
Wir lebten zwar nur auf drei kleinen Räumen, aber ach Margot, wir
erinnern uns noch, wie schnell du dich dort wohlgefühlt hast. Du hast
es geliebt, wenn du im Bett lagst und den Männer unten beim abendlichen
Sabbat Gottesdienst zuhören konntest. Du hast uns mal gesagt, du
würdest dich dann noch näher bei Gott fühlen, dass hat uns glücklich
gemacht.
Aber leider änderte sich das bald, nur innerhalb von einer Nacht.
Wir hatten gehört, dass die Nationalsozialisten Juden nicht mögen, aber
viele von uns glaubten das nicht. Falls wir bis dahin noch daran
zweifelten, so änderte sich dies in der Nacht vom neunten auf den
zehnten November 1938. Diese Nacht wird überall in Deutschland
Kristallnacht genannt, weil im ganzen Land die Fensterscheiben der
Juden zerbrochen sind und damit auch ihre Hoffnungen.
Ihr könnt euch sicher noch sehr gut an die Schrecken dieser Nacht
erinnern. Wir hätten nie gedacht, dass die SS und SA Männer in unsere
heilige Synagoge kommen würden. Aber sie kamen und brachen die schweren
Türen mit Gewalt auf. Wir haben sie erst von oben beobachtet. Die
vielen vielen Männer, wie sie lachten und schrien, als sie die
wunderschönen Samtvorhänge von dem heiligem Schrein rissen und damit
die monatelange Arbeit eurer Mutter an den Torarollen zerstörten.
Sie hat sich soviel Mühe damit gegeben und soviel Herz rein gesteckt.
Ihr habt sie immer dafür bewundert, wie viel Kraft und Geduld sie hat.
Aber nur das runter reißen reichte ihnen nicht. Sie schütteten Benzin
über die Torarollen und zündeten sie an. Vater fing an zu weinen und
versuchte die Torarollen zu beschützen. Aber die Soldaten schlugen ihn
mit den Gewehren nieder und zerrten ihn nach draußen. Erst achtzehn
Stunden später sollten wir ihn wieder sehen, denn sie hatten ihn
verhaftet.
In der Zwischenzeit brannten nicht nur die Torarollen, sondern die
ganze Synagoge stand in Flammen. Und alle standen da nur rum und
schauten zu. Keiner durfte helfen. Oh was habt ihr geweint, oh was
hattet ihr für eine Angst. Mutter hat euch unter Tränen immer wieder
gesagt, dass ihr euch nicht fürchten sollt. Aber ihr hattet solche
Angst in dieser Nacht, habt so sehr geweint und selbst Mutter konnte
euch nicht beruhigen.
Nachdem euer Vater wieder aus der Haft da war, hat er erzählt, dass in
dieser schrecklichen Nacht auch zwei Freunde der Familie von Deutschen
getötet wurden und da wussten wir, dass es für euch , unsere über alles
geliebten Kinder, in Deutschland zu gefährlich wird.
Der Antrag für die Ausreise nach England war zwar schon gestellt, aber
wir wissen nicht, wie lange es noch bis dahin dauert und welche
grausamen Nächte noch kommen mögen. Mit Onkel Gerd und später euren
Großeltern, die momentan bei uns leben, haben wir eure Flucht nach
Holland geplant.
Wir haben gehört, dass in Holland die Lage für die Juden besser sei und
ihr vielleicht in eine Pflegefamilie kommen könnt.
Und dann kommen wir so schnell wie möglich nach. Wir lassen euch nicht
lange alleine!
Wir werden zusammen nach England gehen. Wir fangen nochmal von vorne an
und vergessen langsam die Schrecken der Vergangenheit. Unsere lieben
Kinder, habt nur ganz viel Kraft und Glauben an eine gute Zukunft, dann
stehen wir das zusammen als Familie durch. Und wenn ihr Heimweh habt,
dann schaut nach oben in den Himmel und seit euch sicher, wir denken
auch die ganze Zeit nur an euch. Wir vermissen euch jetzt schon
wahnsinnig und beim Schreiben dieses Briefes zerreißt es uns schon
jetzt das Herz. Aber wir wissen, dass es kein Abschied für immer,
sondern nur für eine kurze Zeit ist. Und vielleicht macht euch dieser
Gedanke das Leben in Holland etwas leichter.
Lieber Herbert und liebe Margot, bitte passt immer gut aufeinander auf.
In der Fremde ist die Familie das Wichtigste! Wir lieben euch
unendlich und wir glauben und hoffen auf eure innere Kraft. Bleibt
stark und mutig!
Wir werden uns ganz bald wiedersehen!
Eure euch immer liebenden Eltern Jakob und Elise
Doch leider erfüllte sich diese Hoffnung nicht.
Der Antrag für die Ausreise wurde nicht genehmigt und im Oktober 1941
erhielten Jakob und Elise Cohen die Information, dass sie deportiert
werden sollten. Am 26.10.1941 war es dann soweit und das Ehepaar wurde
nach Litzmannstadt deportiert. Von dort aus ging es weiter zum
Vernichtungslager Chelmno, wo sie am 7.5.1942 vergast wurden.
Herbert und Margot Cohen kamen nach der Ankunft in Holland zunächst in
ein Kinderflüchtlingsheim und dann weiter in zwei unterschiedliche
Pflegefamilien in Amsterdam unter.
Nach einer Razzia im Jahre 1943 wurde Herbert Cohen nach
Westerbork geschafft, wo er von dort aus nach Theresienstadt und später
nach Ausschwitz deportiert wurde. Er starb am 25.10.1944.
Margot Cohen ist die Einzige der Familie, die überlebt hat. Auch wenn
es ähnlich wie bei Herbert viele Hausdurchsuchungen in der Zeit bei der
Pflegefamilie gab, konnten sie Margot viermal erfolgreich verstecken.
Doch beim fünften Mal wurde sie aufgegriffen und ins Durchgangslager
Westerbork gebracht. Mit Hilfe eines unbekannten Fluchthelfers konnte
sie allerdings nach acht Wochen fliehen und kehrte zu ihrer
Pflegefamilie zurück. Nach dem Krieg suchten die Pflegeeltern Verwandte
von Margot und schickten sie schließlich zu einer Tante nach Haiti. Mit
ihr zog Margot in die Vereinigten Staaten, wo sie dann im Jahre 1985 in
Denver verstarb.
An der Herzogenstraße 8 werden heute am 4.6.2014 die Stolpersteine für
die Familie Cohen verlegt. Sie waren Opfer der NS- Zeit und die
Erinnerung an diese Menschen muss lebendig gehalten werden. Denn im
Talmud, eines der wichtigsten Schriftwerke des Judentums, steht schon:
„ Ein Mensch ist erst vergessen, wenn sein Name vergessen ist.“.
Vorgetragen von der Klasse 10B der Gustav-Adolf Schule am
04.06.14
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Infos
Der Künstler Gunter Demnig hat das
Stolpersteinprojekt ins Leben gerufen. Er möchte an die Opfer des
Nationalsozialismus erinnern, indem er vor ihren letzten
selbstgewählten Wohnort Gedenktafeln aus Messing in den Bürgersteig
einlässt. Stolpersteine wurden bereits in mehr als 500 Orten
Deutschlands und in mehreren andern europäischen Ländern verlegt.
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