|
Rede - Herzogenstraße 8
|
Simon Spanier (B9) |
Helene
Spanier (B10) |
Die Familie Spanier lebte 100 Jahre lang in Goch, bevor sie Ende der 30er Jahre aus ihrer Heimat vertrieben wurden.. Der aus Kalkar kommende Jakob Spanier und die aus Rees stammende Ehefrau Julie ließen sich um 1840 in Goch nieder. Hier gründete eine Jakob Spanier gründete eine Zigarrenfabrik in der Herzogenstraße. Das Ehepaar Spanier hatte insgesamt fünf Kinder. Drei lebten noch in den 30er Jahren in Goch. Michael Spanier hatte die Zigarrenfabrik seines Vaters übernommen. Bei ihm und seiner Frau Rosette wohnte auch seine ledige Schwester Julia, sowie sein Sohn Leo und die Schwiegertochter Martha. Sein Bruder Simon war Metzger gewesen und hatte ein Geschäft in der Bahnhofstraße besessen. Seine Ehefrau Regine war 1923 verstorben und seine ledige Tochter Helene führte seinen Haushalt.
1938 lebten nur noch Simon sowie seine Töchter Helene und Martha in
Goch. Simon Spanier und seiner Tochter Helene, für die heute
Stolpersteine verlegt werden sollen, wohnten hier in der
Hausmeisterwohnung der jüdischen Gemeinde in der Herzogenstraße 8. Zu
diesem Zeitpunkt war Simon bereits 88 Jahre alt. Seine ledige Tochter
Helene führte den gemeinsamen Haushalt.
______________________
Die Geschichte der beiden Mitglieder werden wir nun in Form fiktiver Tagebucheinträge von Helene Spanier darstellen.
10. November 1938 Heute war ein schrecklicher Tag. Es begann am frühen Morgen. Ich erwachte durch laute Schreie und Lachen. Als ich aus dem Fenster unserer kleinen Wohnung im jüdischen Gemeindehaus schaute, sah ich uniformierte Mitglieder der SS und SA auf dem Hof. Sie brachen gerade die Türe der Synagoge auf. Ich hörte, dass sie die Fenster zerschlugen. Sie brachten Samtvorhänge vom heiligen Schrein, viele Kultgegenstände und die Torarollen auf den Hof. Dann schütteten sie Benzin darüber und zündeten alles an. Anschließend legten sie auch in der Synagoge Feuer, dass langsam um sich griff. Mittlerweile waren trotz der frühen Stunde viele Gaffer und die Feuerwehr eingetroffen. Obwohl Adolf Devries, der Vorsteher der jüdischen Gemeinde, die Feuerwehrleute eindrücklich bat, das Feuer zu löschen, rührten sich diese nicht. Sie hatten den Befehl erhalten, nicht einzugreifen und nur darauf zu achten, dass die Nachbarhäuser nicht abbrannten. Mein Vater Simon war mittlerweile auch wachgeworden. Er regte sich furchtbar auf und ich versuchte ihn zu beruhigen. Plötzlich ertönten schwere Schläge an unserer Tür. Als ich öffnete, drangen sie in unsere Wohnung ein und durchsuchten alle Räume nach verbotenen Schriften. Sie hausten wie die Vandalen, zerrissen Vorhänge und zerschlugen mein gutes Porzellan. Als sie nichts Verdächtiges fanden, nahmen sie meinen Vater mit und sperrten ihn ins Gocher Gefängnis, das sich im Rathaus am Markt befand. Er ist gerade erst 88 Jahre alt geworden. Ich mache mir solche Sorgen, dass er diese Aufregung nicht verkraftet. Auch Jakob Cohen und die anderen jüdischen Männer haben sie mitgenommen und in den kleinen Pferch im Rathaus eingesperrt. Ich weiß gar nicht, wie dort dreißig Männer Platz finden können. 12. November 1938 Gott sei Dank! Vater ist wieder zu Hause. Fast alle anderen Männer
haben sie ins Klever Gefängnis gebracht. Von dort sollen sie ins KZ
Dachhau deportiert werden. Nur wer vorweisen kann, dass er über
Ausreisepapiere verfügt, wird entlassen. Meinen Vater haben sie
vermutlich aufgrund seines Alters laufen lassen. Was wird nun aus uns
werden? Die SA und SS haben alle jüdischen Geschäfte zerstört und
geplündert. Man traut sich nicht mehr, auf die Straße zu gehen. Überall
herrscht eine feindliche Stimmung. Heute haben wir einen neuen Ausweis und einen neuen Namen erhalten. Ich heiße jetzt Helene Sara Spanier und mein Vater heißt Simon Israel Spanier. Den Namenszusatz "Sara" oder "Israel" müssen jetzt alle Juden tragen. Sie haben uns schon so viel genommen, unsere Nachbarn, unsere Geschäfte und unsere Verwandten, die alle versuchen, ins Ausland zu flüchten. Jetzt grenzen sie uns noch weiter aus. Wir sollen überall leicht erkannt werden können. Im Ausweis haben sie ein dickes, fettes "J" gedruckt. Es ist so beschämend. 1. April 1940 Wir haben Goch endgültig verlassen. Leo ist mit meiner Schwester
Martha in die Niederlande geflüchtet. Sie wohnen nun in Deventer. Dort
wohnen schon lange Vaters Brüder Bernhard Michael und Heinrich. Vater
will Deutschland nicht verlassen. Er fühlt sich als Deutscher und Goch
war seine Heimat. Seine Familie lebte bereits im 18. Jahrhundert in
Kalkar und sein Vater kam vor 100 Jahre nach Goch. Meine Brüder haben
im Krieg für Deutschland gekämpft. Vater will nicht wahr haben, dass
man ihn aus seiner Heimat vertreiben möchte und hofft, dass diese
schlimme Zeit bald ein Ende haben wird. In Goch können wir aber nicht
bleiben. Nachdem das jüdische Gemeindehaus verkauft wurde, haben wir
eine zeitlang bei Martha und Leo gewohnt. Nun haben sie ihr Haus für
einen Appel und ein Ei verkauft und ziehen in die Niederlande. Ich habe
eine Anstellung bei einem Kaufmann in Solingen gefunden. Seine Frau ist
kürzlich verstorben und er braucht eine Haushaltshilfe. Vater zieht
nach Köln. Heute heirate ich Hermann Friedberger. Seit einem Jahr führe ich seinen Haushalt und kümmere mich um seinen Sohn Gerd. Wir haben uns in dieser Zeit gut kennengelernt. Eigentlich habe ich nicht mehr damit gerechne,t zu heiraten. Immerhin bin ich schon 57 Jahre alt. Aber ich habe mich sehr gefreut, als Hermann um meine Hand angehalten hat. Leider ist vor einem Monat mein Vater in Köln verstorben. Er war 89 Jahre alt. 26. Oktober 1941 Nun sitzen wir hier in Düsseldorf Derendorf in einem Schlachthof und warten auf die Abfahrt des Zuges. Vor zwei Wochen haben wir die Nachricht erhalten, dass wir ins Ghetto Litzmannstadt in Polen deportiert werden sollen. Wir dürfen nur 100 Reichsmark, einen Koffer sowie Verpflegung für acht Tage mitnehmen. Alles andere mussten wir in Solingen zurücklassen. Was erwartet uns in Polen? Hermann ist über sechzig und ich bin mittlerweile 58 Jahre alt. Wie sollen wir unseren Lebensunterhalt verdienen? Gerd und Hermanns Tante Mathilde sind bei uns. Ich hoffe, dass wir zusammenbleiben können. Gerade habe ich Elise Cohen aus Goch getroffen. Sie hat mir berichtet, dass ihr Mann Jakob, Adolf Devries, Erna Auerbach und Karl Sternefeld sowie Hertha Brünell mit ihren Kindern auch auf diesem Transport sind. Immerhin sind wir nicht alleine.
Nicht in meinen schlimmsten Träumen hätte ich mir ausmalen können, was uns hier erwartet hat. Alle vom Düsseldorfer Transport, immerhin ca. 1000 Menschen, wurden in ehemaligen Schulgebäuden in der Fischstraße untergebracht. Wir wohnen in der Nummer 15. Bis zu 70 Personen sind in einem Klassenraum untergebracht. Es gibt keine Möbel. Man muss auf dem nackten Fussboden schlafen. Fließendes Wasser gibt es nicht und die Toiletten ist auf dem Hof. Von Toiletten kann eigentlich gar nicht die Rede sein. Es sind Löcher, die mit Brettern zugedeckt sind. Für 500 Menschen. Die hygienischen Zustände sind erbärmlich. Krankheiten wie Typhus, Ruhr und Diphtherie breiten sich aus. Die ersten vier Menschen aus dem Düsseldorfer Kollektiv sind bereits verstorben. Hermann erhält hier eine Rente von der Allianz AG. Sie ist sogar recht hoch. Aber sie wird in Ghettogeld ausgezahlt. Wir bekommen sehr wenig zu Essen und sind darauf angewiesen, uns zusätzliche Nahrung zu besorgen. Das geht aber nur auf dem Schwarzmarkt. Dort ist das Ghettogeld aber nichts wert. Zum Glück hat Gerd eine Arbeit bei der Straßenbahn bekommen. Aber wir sind zu viert und ständig hungrig. Hermann geht es nicht gut. Ich mache mir Sorgen. 4. Mai 1942 Soeben haben wir einen "Aussiedlungsbescheid" bekommen. Bereits vor einigen Tagen wurde die "Aussiedlung" aller Westjuden bekannt gegeben. Alle machen sich Sorgen. Wo werden sie uns hinschicken? Immer wieder ist die Sprache von landwirtschaftlicher Arbeit in den Ostgebieten. Aber was wollen sie dort mit alten Leuten und Kindern? Ausgenommen von der "Aussiedlung" sind nur Teilnehmer des Ersten Weltkriegs mit Auszeichnungen wie dem Eisernen Kreuz und Arbeitsfähige mit wichtigen Beschäftigungen. Hermann hat zwar für Deutschland gekämpft, aber er kann keinen Verdienstorden vorweisen. Gerd aber hat eine feste Arbeit. Wir werden einen Antrag auf Rückstellung von der Aktion stellen.
Nun sitze ich wieder mit meiner Familie in einem Zug. Alle Gocher, bis auf Adolf Devries, sind auch in dem Zug. Adolf konnte das Eiserne Kreuz vorweisen und wurde zurückgestellt. Am Bahnhof wurde uns das ganze Gepäck abgenommen und zurück ins Ghetto gebracht. Danach wurden alle unruhig. Mit erhobenen Händen wurden wir in den Zug geschubst. Wohin sind wir unterwegs, warum brauchen wir kein Gepäck? Ich mache mir große Sorgen.
|
An dieser Stelle brechen wird die persönliche Erzählung ab und berichten über die weiteren Geschehnisse.
Helene Friedberger, geborene Spanier, wurde mit den anderen Gochern ins 60 km entfernte Chelmno gebracht und dort in Lastwagen vergast. Adolf Devries überlebte diese Aktion nur um 2 Monate. Er verstarb am 18.8.1941 im Ghetto Litzmannstadt.
Neben Helene wurden noch sechs weitere Mitglieder der Familie Spanier während des Holocaust ermordet. Drei von ihnen stammten aus Goch und waren hier geboren worden.
Auch wenn diese Mitglieder der Familie Spanier heute keinen
Stolperstein in Goch erhalten, möchten wir doch an dieser Stelle an sie
erinnern.
Stolpersteine in Goch |
Stolpersteine-Gruppe1 auf einer größeren Karte anzeigen |
Stolpersteinverlegung Simon Spanier Helene Spanier Bahnhofstraße 28 |
Stolpersteinprojekt
des Künstlers Günther Demnig |
Der Künstler Gunter Demnig hat das Stolpersteinprojekt ins Leben gerufen. Er möchte an die Opfer des Nationalsozialismus erinnern, indem er vor ihren letzten selbstgewählten Wohnort Gedenktafeln aus Messing in den Bürgersteig einlässt. Stolpersteine wurden bereits in mehr als 500 Orten Deutschlands und in mehreren andern europäischen Ländern verlegt. |
Dateiname: |
gored091214_Spanier.html |
Datum: |
01.01.15 |
Erstellt von : |
R. Warrener |
Text von: |
R. Warrener |
Fotografien: |
Simon Kersjes Fotos d. Opfer - StaG |