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Reden - Mühlenstraße 51
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Rede des Q2 Zusatzkurs des Collegium Augustinianum Gaesdonck
Wir, der Geschichts Grundkurs der Gaesdonck, haben uns in der letzten Unterrichtsreihe mit der Judenverfolgung in Goch und demnach mit Paul und Karl Sternefeld beschäftigt. Wir haben nun zwei fiktive Tagebucheinträge Paul Sternefelds und einen Sachtext, welche wir anhand von Quellen erarbeitet haben, vorbereitet. Wir versuchen dadurch die Gefühle der verfolgten Juden widerzuspiegeln. Im Anschluss wollen wir ebenfalls einige kurze Informationen zum Schicksal von Fanny Badmann und Emma Wertheimer geben, die auch einige Zeit hier gewohnt haben. Tagebucheinträge 1. Tagebucheintrag 11.05.1936 Heute ist der dritte Tag auf hoher See. Die Reise wird von Tag zu Tag anstrengender und die See wird rauer. Es scheint sich ein Sturm anzubahnen. Die Stimmung ist weiterhin gedrückt. Niemand weiß was uns in Chile erwarten wird. Alle sind auf sich allein gestellt und der Großteil hat wenig finanzielle Mittel zur Verfügung. Ich hoffe, dass wir offene Menschen treffen und schnell Anschluss an die Gesellschaft und eine Arbeitsstelle finden. Die Judenverfolgung in Deutschland hat mich an den Rand der Verzweiflung gebracht. Es ist schrecklich, dass wir wegen der NSDAP unsere Heimat, unsere Familie, unsere Freunde verlassen mussten. Ich selbst konnte kaum etwas von meinem Besitz ins Ausland mitnehmen. Meine Fassungslosigkeit ist mit Worten nicht zu beschreiben.
Chile (Valparaíso), 1946 Der Krieg ist vorbei! Doch das Leid nimmt kein Ende. Meine Hoffnungen, mit denen ich nach Chile emigriert bin, sind nicht erfüllt worden. Ich bin enttäuscht und weiß nicht, wie es weitergehen soll. Meine Zuversicht auf ein besseres Leben ist gestorben und Verzweiflung übernimmt ihren Platz. Ich bin geflohen, weil ich zu Hause verfolgt wurde und keine Chance auf Leben hatte. Aber was ist das hier für ein Leben? Mein ganzes Vermögen wurde mir genommen und Arbeit wird mir hier in Chile nicht gewährt. Es ist mir daher unmöglich, mich zu ernähren und ich verarme immer mehr. Der Krieg ist vorbei, aber was bringt mir das, wenn ich von all‘ dem überhaupt nichts spüre? Ich kann es hier in Chile nicht mehr länger aushalten; nichts bleibt mir zum Leben! Nicht einmal das kleinste Stück kann ich mir leisten … Wie soll es weiter gehen? Wie soll ich nur überleben? Ich will nur noch zurück. Mein sehnlichster Wunsch ist die Rückkehr nach Deutschland, in mein Heimatland, aus dem ich vertrieben wurde. Ich bin schon alt und möchte nur noch einmal mein Haus sehen, in unserem Garten laufen, leben wie vor dem Krieg. Hier in Chile geht es nicht mit rechten Dingen zu. Bin ich doch geflohen, um der Verfolgung zu entgehen, so sind mir Nazis bis hierher gefolgt. Man sieht sie immer öfter. Südamerika ist etwas für Hochstapler und dunkle Elemente, aber nicht für Leute, die sich auf ehrliche Art und Weise ihr Geld verdienen müssen. Ich möchte nur noch weg von hier, zurück nach Goch. Dem Bürgermeister einen Brief von meinem Elend schreiben, das werde ich tun und bitten, mir zu helfen! Und wenn die Sorge um mich selber doch meine einzige wär‘. Wie ist es um meinen Bruder Karl geschehen? Was ist ihm widerfahren? Werd' ich ihn je wiedersehen? Ich habe mich nicht einmal von ihm verabschieden können, ihm sagen können, wie sehr ich ihn als meinen Bruder schätze, wie sehr ich ihn jetzt vermisse. Wenn ich ihm doch schreiben könnte! Eine Adresse hätte! Was hat sein Schicksal ihm gebracht?
Gebrüder Sternefeld Paul Sternefeld musste aufgrund von Verfolgung 1939 auswandern. Durch die damalige Rechtslage konnte Ihm somit nahezu sein gesamtes Vermögen entzogen werden. So blieben Paul Sternefeld von über 185 000 Reichsmark später nur noch 5000. Zuvor lebte er im elterlichen Haus in der Mühlenstraße 51 (heute 47). Dieses wurde später deutlich unter Wert verkauft, der Hausrat stand ebenfalls zum Verkauf. Die Gewinne gingen an die „Nationalsozialistische Wohlfahrt“ in Goch. Man kann sich den Verkauf des Hausrats wie einen heutigen Trödelmarkt vorstellen. Nachdem er 1939 nach Chile floh, verarmte Paul Sternefeld dort mehr und mehr. Die Unterstützung durch seinen Bruder in Deutschland war unmöglich. Zudem flohen nach dem Krieg viele Nationalsozialisten nach Südamerika, Paul Sternefeld spricht in einem Brief an den Gocher Bürgermeister von „dunklen Elementen“. Sein älterer Bruder Karl Sternefeld interessierte sich besonders für ferne Länder. Er liebte das Reisen und sammelte ausländisches Geld. Diese Leidenschaft wurde Ihm später zum Verhängnis als ein Devisenverfahren gegen Ihn geführt wurde. Er musste eine übertrieben hohe Geldsumme zahlen um einer Gefängnishaft zu entgehen. Oft konnte er die nationalsozialistische Willkür hautnah spüren. Auch dadurch, dass er in Goch aufgrund einer Lernbehinderung oft schikaniert und von Kindern gehänselt wurde. Im August 1938 gab es eine Anzeige gegen Ihn wegen Verstoßes gegen das sogenannte Heimtückegesetz. In der Anzeige ist von einer „gehässigen und von einer niedrigen Gesinnung zeugenden Art“ die Rede. Außerdem wird er als Jude „übelster Sorte dargestellt“. Von einem Zeugen wird Karl Sternefeld als „ganz dreckiger Bursche“ beschimpft. Karl wurde im Zuge des Novemberpogroms 1938 mit weiteren Juden nach Dachau überführt. Nach einigen Wochen kehrte er jedoch nach Goch zurück, da die Gestapo einen Entlassungsantrag stellte. Ziel war es, dass Karl auswandern sollte und man somit an sein Vermögen herankommen konnte. Der Landrat antwortete der Gestapo und wies auf das verrückte Auftreten Sternefelds hin. Damit meinte er die Ausgrenzung, die Karl erfahren musste, da er sich durch seine Lernbehinderung teilweise eigentümlich verhielt. Er wollte nicht, dass Karl Sternefeld nach Goch zurückkehrt und so weitere Menschenansammlungen vermeiden. Er spricht von „unliebsamen Zwischenfällen“ und erwartet, dass Karl auswandert. 1939 begann die systematische Ausplünderung Sternefelds. Er musste aus seinem Haus ziehen und es wurde weit unter Wert verkauft. Als er schließlich 1941 nach Litzmannstadt in das Ghetto Lodz deportiert wurde, konnte sein ganzes Vermögen eingezogen werden. Am 7. Mai 1942 wurde Karl Sternefeld in Chelmno vergast.
Emma Wertheimer, geborene Weil, wurde am 22. Dezember 1870 als neuntes Kind von Abraham und Magdalena Weil in Otterstadt geboren. Im Alter von 22 Jahren heiratete sie in Bretten bei Karlruhe Heinrich Karl Wertheimer. Das Ehepaar hatte eine Tochter namens Hilda und einen Sohn namens Theodor. 1931 verstarb Emmas Ehemann Karl in Radebeul bei Dresden. Er war dort als Geschäftsführer der Waffelfabrik Sondhelm tätig gewesen. Einige Zeit später zog Emma Wertheimer als Witwe von Radebeul nach Goch. Hier wohnte sie im Haushalt von Karl Sternefeld in der Mühlenstraße Nr. 47 (heute 51). Später zog sie in die Niederlande und wohnte in Amsterdam. Von dort wurde Emma Wertheimer 1942 über das Durchgangslager Westerbork nach Auschwitz deportiert. Sie wurde am 13. November 1942 im Alter von 71 Jahren ermordet.
Fanny Badmann, geb. Jacoby, wurde am 25.11.1871 in Freystadt geboren. Nach dem Tod ihres Ehemannes Karl Badmann kam sie 1923 nach Goch und wurde Hausdame im Haushalt von Isaak und Mathilde Sternefeld. Nach dem Tod des Ehepaars kümmerte sie sich um den Haushalt des ledigen Sohn Karl Sternefeld. Fanny Badmann verstarb in Goch am 30. Oktober 1940 im Alter von 68 Jahren.
Mit den Stolpersteinen möchten wir diesen vier vertriebenen Gocher Juden ihre Heimat wieder zurückgeben. Die Brüder Karl und Paul Sternefeld, Fanny Badmann sowie Emma Wertheimer verdienen, dass an sie gedacht wird. Die vier Stolpersteine sollen an die schreckliche Geschichte erinnern und an die Zukunft appellieren, dass jeder Mensch unabhängig von Herkunft, Religion, Geschlecht oder Aussehen die Chance verdient, ein Leben in Freiheit zu verbringen. |
Stolpersteine in Goch |
Stolpersteine-Gruppe1 auf einer größeren Karte anzeigen |
Stolpersteinverlegung Hermann Epstein Lina Epstein Max Epstein Bahnhofstraße 26 |
Stolpersteinprojekt
des Künstlers Günther Demnig |
Der Künstler Gunter Demnig hat das Stolpersteinprojekt ins Leben gerufen. Er möchte an die Opfer des Nationalsozialismus erinnern, indem er vor ihren letzten selbstgewählten Wohnort Gedenktafeln aus Messing in den Bürgersteig einlässt. Stolpersteine wurden bereits in mehr als 500 Orten Deutschlands und in mehreren andern europäischen Ländern verlegt. |
Dateiname: |
gored1412_Muehlenstrasse 51.html |
Datum: |
29.12.15 |
Erstellt von : |
R. Warrener |
Text von: |
R. Warrener |
Fotografien: |
R. und G. Warrener |