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Reden - Bahnhofstraße 23
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Zeremonie für Louis Hartog am 14.12.2015 Im folgenden möchten wir Ihnen einen fiktiven Brief von Ludwig Hartog, genannt Louis, an seinen Enkel Walter vorlesen. Den Haag, 10. September 1938
Lieber Walter, liebe Claire und mein lieber Ur-Enkel Rolf-Peter, ich bin gut in Den Haag angekommen und wohne wie immer bei den Kindern meiner verstorbenen Schwester Henriette. Nach Goch werde ich nicht zurückkehren. Obwohl ich viel zurücklassen musste, habe ich meine Heimat nun für immer verlassen. Das ist nicht mehr mein Goch. Das ist nicht mehr die Stadt, in der meine Familie seit mehr als 200 Jahren sicher und gut leben konnte. Niemals hätte ich gedacht, dass sich die Menschen so verändern könnten. Im Mai bin ich 90 Jahre alt geworden. Vor 10 Jahren hatte die Stadt Goch mir für meine Verdienste und anlässlich meines achtzigsten Geburtstages eine Ehrenbürgerurkunde verliehen. Sie schrieben in der Urkunde: „Diese Ehrung des Genannten erfolgt in Anerkennung der uneigennützigen und großen Verdienste, die er sich während seiner früheren langjährigen Tätigkeit als Stadtverordneter um das Wohl der Stadt Goch erworben hat. Sie soll aber auch gleichzeitig einen Glückwunsch der Stadt zum heutigen Festtage darstellen, wie sie ferner auch die Gefühle der Anerkennung und Dankbarkeit der gesamten Bürgerschaft zum Ausdruck bringen soll.“ Auf meinem achtzigsten Geburtstag hatte ich mich sehr über diese Ehrung gefreut. Die Stadt hatte mir und meiner Familie immer am Herzen gelegen. 24 Jahre war ich Mitglied des Gocher Stadtrats gewesen. Als in Goch eine große Masern-Epedemie ausgebrochen war, spendete ich eine große Summe für eine Quarantänestation des Wilhelm-Anton-Hospitals. Mein Schwager Heinrich und seine Frau Claire stiften 40.000 Reichsmark für die Anna-Hartog-Stiftung, die in Not geratene Handwerker unterstützt. Sie wurde, wie du weißt, nach meiner verstorbenen Tochter Anna benannt. Viele Gocher haben in unserer Fabrik, den Gocher Lederwerken, Arbeit gefunden. Ich war in Goch ein angesehener Mann und die Überreichung der Ehrenbürgerurkunde hatte mir gezeigt, dass die Gocher meinen Einsatz zu schätzen wussten. Wie sehr habe ich mich doch geirrt!!! Als 1933 Hitler und die NSDAP die Regierung übernahmen, änderte sich alles schlagartig. Viele Gocher sahen in mir nicht mehr den angesehenen Mitbürger, Nachbarn oder Freund sondern nur noch den „Juden“. Ich wurde aus den Vereinen ausgeschlossen und Freunde sowie Bekannte zogen sich zurück. Wie so viele andere Betriebe gerieten auch die Gocher Lederwerke aufgrund der Kauf- und Lieferboykotte in wirtschaftliche Schwierigkeiten. Wie du weißt, mussten wir deshalb die Fabrik verkaufen. Überall gibt es für uns Verbote und für ehemalige Freunde wurden wir zu „Feinden der deutschen Rasse“ und zu Sündenböcken. Das hat mich sehr gekränkt. Ich befürchte, dass sich die Situation noch verschlimmern wird, deshalb beschloss ich Goch zu verlassen. Vor meiner Reise nach Den Haag habe ich den Ehrenbürgerbrief an die Stadt Goch zurückgegeben. Ich empfinde die Worte auf der Urkunde als Hohn. Jahrzehnte lang habe ich mich für die Stadt eingesetzt und dann werde ich so behandelt. Ich werde nicht zurückkehren. Auch dir empfehle ich, mit Claire und Rolf-Peter schnellsten auszureisen. Deutschland ist nicht mehr sicher! Dein Bruder Hermann, der drei Jahre bei mir gewohnt hatte, hat die Zeichen der Zeit ja schon früher erkannt. Er zog zeitig zu meinem Schwager Heinrich und seiner Frau Claire nach Paris. Dort wohnt im Moment auch meine Schwiegertochter Henriette mit ihren Töchtern Marianne und Ursula. Sie haben mich kürzlich hier in den Haag besucht, da sie im nächsten Monat Richtung New York abreisen wollen. Ich hoffe, dass wir uns bald hier in Holland wieder sehen werden. Dein dich liebender Großvater Louis Hartog _________________
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Stolpersteine in Goch |
Stolpersteine-Gruppe1 auf einer größeren Karte anzeigen |
Stolpersteinverlegung Ludwig Hartog Hermann Stern Bahnhofstraße 23 |
Stolpersteinprojekt
des Künstlers Günther Demnig |
Der Künstler Gunter Demnig hat das Stolpersteinprojekt ins Leben gerufen. Er möchte an die Opfer des Nationalsozialismus erinnern, indem er vor ihren letzten selbstgewählten Wohnort Gedenktafeln aus Messing in den Bürgersteig einlässt. Stolpersteine wurden bereits in mehr als 500 Orten Deutschlands und in mehreren andern europäischen Ländern verlegt. |
Dateiname: |
gored1412_bahnhofstr23.html |
Datum: |
29.12.15 |
Erstellt von : |
R. Warrener |
Text von: |
R. Warrener |
Fotografien: |
R. und G. Warrener |