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Reden - Mühlenstraße 27

für Klara Koppel sowie Ernst, Hedwig, Lore und Rosemarie Kann

Redner: Klasse 6e - Gesamtschule Mittelkreis

  • Shirley Arlt
  • Sevda Kocak
  • Elise van Maasakker

Stolpersteinverlegung - Mühlenstraße 27



Clara Koppel


Klara Koppel


Ernst Kann Hedwig Kann Lore Kann Rosemarie Kann
Ernst Kann Hedwig Kann
geb. Koppel
Lore Kann
Rosemarie Kann


Rede von Schülerinnen und Schülern der Klasse 6e

Hier an der Adresse Mühlenstraße 27 wohnten bis 1933 Hedwig Kann, ihr Ehemann Ernst Kann, die 10-jährige Tochter Lore und die zweijährige Tochter Rosemarie. Zum Haushalt gehörte auch Hedwigs Mutter Clara Koppel. Ernst Kann betrieb im Haus der Schwiegermutter eine Berufskleidungs- und Hemdenfabrik mit dem Namen EKAGO (Ernst Kann Goch). Der Großvater Salomon war 1927 verstorben. Die Familie Koppel gehörte zu den alteingesessenen jüdischen Familien Gochs und lässt sich bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts in Goch zurückverfolgen.

Die Familiengeschichte nach 1933 werden wir im Folgenden in Form fiktiver Tagebucheinträge von Lore Kann darstellen.

1. Juni 1933

Meine Eltern haben mir heute mitgeteilt, dass wir Goch verlassen werden. Vor einigen Monaten hat Hitler und seine Partei die Regierung übernommen. Seitdem werden wir viel unfreundlicher behandelt. In der Schule hat mich eine Junge "Judengöre" genannt. Die Lehrerin hat nichts gemacht und meine Freundinnen haben sich auch nicht getraut einzugreifen. Sie haben selbst Angst "Judenfreundin" genannt zu werden. Anfang April versammelten sich vor allen jüdischen Geschäften in Goch SA-Männer und die Hitlerjugend mit Schildern, die die Aufschrift "Kauft nicht bei Juden" trugen. Dieser Spuk hörte zwar nach wenigen Tagen auf, aber es kamen trotzdem immer weniger Kunden zu uns. Vater sieht für uns keine Zukunft in Goch. Er hat mit Mutter und Oma Clara beschlossen, dass wir nach Gennep ziehen. Dort will er eine neue Fabrik aufmachen.

1.11.1933

Heute bin ich zehn Jahre alt geworden. Ich wohne nun in Gennep. Es gefällt mir hier. Die Leute in Gennep beschimpfen uns nicht. Sie gehen sehr höflich mit uns um. Mein Vater hat hier mit einem Freund zusammen eine Tricotagefabrik gegründet. Er hat dadurch viele neue Arbeitsplätze geschaffen und die Genneper achten und respektieren ihn dafür. Ich besuche eine holländische Schule und kann mich mittlerweile ganz gut verständigen. Freundinnen habe ich auch schon gefunden.

1.12.1938

Wir haben schlimme Nachrichten aus Goch erhalten. Vor drei Wochen, kurz nach meinem fünfzehnten Geburtstag, haben sie dort die Synagoge angezündet, alle Geschäfte zerstört und geplündert. Gut, dass Vater  so früh erkannt hat, was in Deutschland passieren würde. Uns geht es gut in Gennep. Vaters Fabrik läuft gut und wir wohnen in einem schönen Haus. Vater sagt, dass die jüdischen Geschäftsleute in Goch alle vor dem finanziellen Bankrott stehen. Ihr Geschäft ist seit Jahren zurückgegangen und nun sind auch noch ihre Geschäfte zerstört worden. Sie müssen ihre Häuser für wenig Geld verkaufen. Hier in Gennep haben wir viele Flüchtlinge aus Deutschland. Vater gibt ihnen Arbeit in unserer Fabrik.

1. Juni 1940

Überall wimmelt es von Deutschen Soldaten. Vor drei Wochen haben sie die Niederlande überfallen. Werden wir Juden nun auch die gleichen Verbote wie in Deutschland erhalten? Darf ich dann nicht mehr ins Café, ins Kino oder ins Schwimmbad? Ich bin fast siebzehn Jahre alt und möchte etwas mit Freunden erleben. Wird das noch möglich sein? Rosemarie ist jetzt neun Jahre alt. Wird sie die Schule verlassen müssen?

Juni 1941

Wir wohnen nun in Zandvoort. Vaters Fabrik wurde unter deutsche Verwaltung gestellt. Daraufhin haben wir Gennep verlassen. Ich mag die See! Wir gehen oft an den Strand, aber die Deutschen sind natürlich auch hier. Überall hängen Schilder "Vor Jooden verboden".

April 1942

Man hat uns aus Zandvoort vertrieben. Im März mussten alle Juden den Ort verlassen. Wir wohnen jetzt in Naarden. Onkel Max, Tante Herta und Klaus Peter sind letzten Monat in den Osten deportiert worden. Was wird dort aus ihnen werden? Großmutter stand nicht auf der Liste und wohnt nun wieder bei uns. Wir müssen alle den gelben Stern tragen, wenn wir auf die Straße gehen.

29.5.1943

Großmutter Clara wurde verhaftet und nach Westerbork gebracht! Sie ist nun 81 Jahre alt und sehr gebrechlich. Ich mache mir Sorgen, dass sie die lange Reise in den Osten nicht überstehen wird. Was wollen sie mit alten Leuten bei einem Arbeitseinsatz im Osten? Da stimmt doch etwas nicht! Wir wohnen jetzt in Amsterdam. Hier kann man besser untertauchen, weil die Stadt so groß ist. Offiziell sind wir hier nicht angemeldet. Eine holländische Familie hat uns aufgenommen und wir leben im Versteck. Ich habe das Gefühl, dass mein Leben immer enger wird. Mehr und mehr Verbote. Wenn ich das Haus verlasse, begebe ich mich in Lebensgefahr.

9.6.1944

Man hat mich verhaftet. Ich hatte mich dem Widerstand angeschlossen, weil ich etwas tun musste. Ich bin nun zwanzig Jahre alt. Seitdem die Deutschen hier sind, haben sie uns unsere Würde, unsere Freiheit und vielen auch das Leben genommen. Ich hatte den Auftrag, gefälschte Lebensmittelkarten an untergetauchte Personen zu verteilen. Wir trafen uns in Straßenbahnen und ich steckte ihnen heimlich die Marken zu. Lange Zeit ist es gut gegangen, aber vor einigen Tagen haben sie mich erwischt. Nun bin ich im Durchgangslager Westerbork. Ich lebe in der Strafbaracke 67. Hier werden alle eingesperrt, die sich versteckt hatten oder wegen einer Straftat verhaftet wurden.

4. September 1944

Ich sitze in einem Zug Richtung Ghetto Theresienstadt. Eigentlich stand ich auf einer Deportationsliste für einen Transport nach Auschwitz. Abraham Asscher, ein ehemaliges Mitglied des jüdischen Rates in Amsterdam, hat sich für mich eingesetzt. Er hat dafür gesorgt, dass ich auf einen Transport nach Theresienstadt kam. Es ist furchtbar eng. Auf dem Transport befinden sich über 2000 Menschen. In diesem Wagon  drängen sich ungefähr siebzig Menschen auf engstem Raum zusammen. Nicht alle können sitzen. Wir müssen uns abwechseln. Wasser haben wir auch nicht. Besonders die kleinen Kinder schreien und weinen.

An dieser Stelle beenden wir die Tagebuchdarstellung

  • Abraham Asscher hatte Lore durch seinen Einsatz das Leben gerettet. In Theresienstadt kümmerte sich Lore um alte Leute. Sie erlebte die Befreiung des Ghettos und konnte zu ihrer Familie nach Naarden zurückkehren. Lore ist heute 91 Jahre alt und lebt in einem Altersheim in Soest in den Niederlanden. Lore heiratete und hatte einen Sohn und eine Tochter
  • Hedwig und Ernst Kann sowie die Tochter Rosemarie waren nach Naarden zurückgezogen. Rosemarie heiratete in den 50er-Jahren und hatte ebenfalls eine Tochter und einen Sohn. Sie verstarb 1999.
  • Die Großmutter Clara Koppel wurde am 29.Mai 1943 in das niederländische Durchgangslager Westerbork deportiert. Einige Tage später wurde sie am 08.06.1943 mit 3017 anderen Häftlingen von dort ins Vernichtungslager Sobibor an der polnischen Ostgrenze gebracht. Am Tag ihrer Ankunft, am 11.06.1943, wurde sie dort durch Gas getötet.
  • Max Koppel, der Onkel von Rosemarie und Lore, hatte mit seiner Familie in Berlin gewohnt. Im Laufe der 30er-Jahre war er ebenfalls in die Niederlande emigriert. Dort lebten er mit Frau und Kind 1942 in Helmont. Am 28.8.1942 wurden Max, seine Frau Herta und der Sohn Peter Claus nach Westerbork gebracht. Nach zwei Tagen wurden sie nach Auschwitz deportiert, wo Herta und ihr siebenjähriger Sohn kurz nach der Ankunft getötet wurden. Max Koppel konnte noch zwei Jahre im Konzentrationslager überleben und verstarb am 31.3.1944.

Rede von Eva Weyl

Rednerin: einer überlebenden Jüdin aus Kleve

  • Eva Weyl

    folgt in Kürze

Rede Eva Weyl



Rede von Maurice Rijk (Enkelsohn von Rosemarie Kann)


Redner: Enkel von Rosemarie Weyl

  • Maurice Rijk

Rede Maurice Rijk

Ich war 17 Jahre alt und ich beschloss, in die Armee zu gehen. Nach meiner Ausbildung arbeitete ich in einer multinationalen Division. Hier musste ich mit Deutschen zusammenarbeiten. Das Einzige in meinen Gedanken war, das was meine Großmutter, Rosemarie Kann, immer über die "rotmoffen" erzählt hatte. Das war ein Hass, so tiefliegend, dass er fast ansteckend war.

Schnell entdeckte ich, dass ich mit ihnen zusammenarbeiten musste, Vieles hat sich in 65 Jahren geändert. Wir waren alle gleich. Eine multinationale Division von Engländern, Franzosen, Deutschen, Belgiern und uns, den Holländern. Wir waren ein Volk und gehörten zusammen, unabhängig von Rasse, Religion oder sexueller Orientierung.

Die Gleichstellung war leider nie selbstverständlich. Viele Menschen haben ihr Leben verloren für die Freiheit der anderen. Nicht nur im Zweiten Weltkrieg, sondern auch danach. Ich nenne zum Beispiel die jüngsten Ereignisse in Frankreich. Dadurch werden wir uns bewusst, dass Freiheit nicht von Natur aus anwesend ist. Jeden Tag muss irgendwo die Freiheit in jeder Form erkämpft werden.

Mein Interesse an der Geschichte meiner Familie während des Krieges hat sich im Laufe der Jahre erhöht. Ich bin viel gereist, als ich Soldat war und war an vielen Orten, die während des Krieges eine große Rolle gespielt haben. So kam ich viele Mal eim Jahr nach Bergen-Hohne und so auch ins das Konzentrationslager Bergen-Belsen. Das erste Mal, als ich dort war und das ehemalige Lager sah, hatte ich einen unglaublichen Blick in eine große, offene Ebene und fragte mich: "Ist das hier wirklich passiert?" Dann kamen die Fotos und Filme und die Erkenntnis, dass es wahr ist. Ich bin oft zurückgegangen, vor allem um still zu stehen, zu erkennen, zu gedenken.

So kam ich auch einmal nach Polen. Was ich dort sah, hat mich tief berührt. Die Ausmaße von Auschwitz waren riesig. Die Geschichten, Bilder und die Überreste des Lagers haben uns alle schockiert. Obwohl wir die Gräultaten kennen, kamen sie hier noch näher.

Elf Jahr habe ich mitgeholfen, den Frieden und die Sicherheit aufzubauen. Zum Glück gibt es auch Menschen, die nicht militärisch sind, die sich dafür einsetzen. Ruth ist eine von ihnen.

Es hilft uns auch zu begreifen, dass die Verwirklichung von Frieden und Sicherheit nie selbstverständlich ist.

Es hilft uns an diejenigen zu erinnern, die in diesen schrecklichen Jahren des Krieges fliehen mussten oder getötet worden sind.

Vielen Dank Ruth und allen Beteiligten, uns zu helfen einzusehen,

  • dass wir Dank ihnen existieren,
  • dass wir Dank ihnen leben,
  • dass wir anderen helfen, den Opfern zu gedenken.

Vielen Dank für die schöne Geste!


Damit wir nie vergessen werden!

Rede von Maurice Rijk


Infos
Stolpersteine in Goch

Stolpersteine-Gruppe1 auf einer größeren Karte anzeigen


Stolpersteinverlegung
Clara Koppel
Hedwig Kann
Ernst Kann
Lore Kann
Rosemarie Kann

Mühlenstraße 27
Gunter Deminig - Mühlenstraße 27
Mühlenstraße 27
Mühlenstraße 27


Stolpersteinprojekt des Künstlers Günther Demnig


Der Künstler Gunter Demnig hat das Stolpersteinprojekt ins Leben gerufen. Er möchte an die Opfer des Nationalsozialismus erinnern, indem er vor ihren letzten selbstgewählten Wohnort Gedenktafeln aus Messing in den Bürgersteig einlässt. Stolpersteine wurden bereits in mehr als 500 Orten Deutschlands und in mehreren andern europäischen Ländern verlegt.

weitere Informationen...






Dateiname:
gored270215kann.html
Datum:
02.03.15
Erstellt von :
R. Warrener
Text von:
R. Warrener
Fotografien:

  Bilder R. Warrener,
Nicolette Ista