Exkurs: Lebens- und Fluchtwege
- Beispiel Werner Cohen -

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Quelle: Bermann - Bondy – Pomerance: Juden in Kalkar, B.o.s.s Druck und Medien Verlag 1940

Geburt und Familie

6.3.1921

Werner Cohen wurde als Sohn des Viehhändler Hugo Cohen und dessen Frau Paula (geb. Kaufmann aus Rheurdt) geboren. Gabriel, sein jüngerer Bruder kam 3 Jahre später zur Welt. Die Familie wohnte am Kalkarer Markt.

Der Großvater Abraham Cohen und seine Frau Malchen lebten mit ihren Söhnen in der Kesselstraße. Sein Bruder Salomon wohnte mit seiner Frau Augusta und deren drei Kinder in der Altkalkarer Straße. Die Familie Cohen gehörte in Kalkar zu den alteingesessenen jüdischen Familien. Werners Urgroßvater Herz Abraham war Mitte des 19 Jh. als Handelsmann nach Kalkar gekommen.

 

Werner und Gabriel Cohen
mit ihren Großeltern
Berta und Siegmund Ka ufmann
aus Rheurdt.
(Quelle: Gemeindearchiv Rheurdt)
Herz Abraham
Cohen
1828-1892
Hanna Cohen
geb. Spanier
1830-1920
Abraham Cohen
1861 Kalkar
13.3.1943
KZ Sobibor
Gabriel Cohen
6.1.1924
Kalkar
04.06.1943
KZ Sobibor

Schule

1930

Werner besuchte die evangelische Schule in Kalkar

1931

Er ging für vier Jahre auf die Kalkarer Rektoratsschule

1935

Werner wechselte auf die jüdische Schule in Kleve. Diese wird 1936 geschlossen.

Umzug nach Goch

1938

Die Großmutter Malchen starb am 12.9.1936 und die Familie beschloss 1936, wegen der schlimmen Ereignisse, die sich während der Beerdigung zugetragen haben, zu Verwandten nach Goch zu ziehen. Zuvor war Werners Vater, Hugo, am 23.1.1936 von der Strafkammer zu Kleve wegen "Notzucht" (Rasenvergehen) zu 4 Jahren Haft verurteilt und kam in die Strafanstalt Lüdringhausen. Der Großvater Abraham, seine Nichte Else, Paula Cohen und ihre beiden Söhne Werner und Gabriel wohnten nun in der Weezer Straße 29.

Praktikum und Berufsausbildung

1936/37

Werner machte ein sechsmonatiges Praktikum in einem Textilunternehmen in der Schweiz.

1937

Walter zog zu seinen Großeltern nach Rheurdt, da er von dort aus leichter zu einer Lehrstelle in einem Krefelder Textilunternehmen, kommen kann.

Nov. 1938

Nach der Reichsprogromnacht wurde eine Weiterbeschäftigung von Werner Cohen seitens des Betriebs als zu gefährlich betrachtet.

Auswanderung – mit dem Zug nach Paris

Sommer 1939

Die Bemühungen ein Visum zu erhalten hatten endlich Erfolg. Ein schon seit längerem in London wohnender Onkel Werners, Arnold Cohen, hatte Einreisevisa für Cochabamba in Bolivien beschaffen können. Diese galten für Werner, seinen Onkel Ernst aus Issum und dessen Frau Frieda Lebenstein sowie deren Tochter Margrit

Mit dem Zug ging es von Goch über Köln zur deutsch-französischen Grenze im Südwesten. Dort zwang die SS sämtliche jüdischen Mitreisenden, den Zug zu verlassen, um erst noch den Bahnhof gründlich zu putzen, bevor es über die Grenze ging. Die Gepäckkontrollen waren äußerst streng. Nur ganz bestimmte Dinge durften außer Landes gebracht werden. Die SS-Leute hatten es vor allem auf Geld abgesehen. Es durften nämlich nur 10 RM pro Person ausgeführt werden.

Frieda, Margrit
und Ernst Cohen
mit denen Werner
nach Argentinien
auswanderte.
(Quelle: Juden in d.
Geschichte d.
Gelderlandes, S. 327)

Die Schiffsreise

21.8.1939

In Paris erhielten die vier Kalkarer ihre Visa und Schiffspassagen. Mit dem Schiff „Belle Ile“ der französischen Linie Chargeurs Reunis sollte es von Le Havre nach Südamerika gehen. Mit 24 jüdischen Flüchtlingen an Bord verließ das Schiff am 21.8.1939 den Hafen.

 

3.9.1939

Am dritten September erreichte das Schiff die kanarischen Inseln. Kurze Zeit danach wurde das Schiff durch die französische Marine gestoppt und musste  plötzlich umdrehen und Kurs auf  Safi in Marokko nehmen. Durch den Ausbruch des Zweiten Weltkriegs waren Frankreich und somit auch die Kolonie Marokko zu Feinden Deutschlands geworden. Die deutschen Passagiere waren die Leidtragenden. Trotz ihrer jüdischen Abstammung wurden sie interniert, da sie als Kriegsfeinde galten.

Internierung in Marokko

sechs Wochen

Die Frauen kamen nach Casablanca. Die Männer wurden in einem Gefängnis in Marrakesch, später in einem Zuchthaus in Port Liautey interniert. Die Reisenden jüdischen Familien blieben von einander getrennt. Sie wurden in dieser Zeit von arabischen und französischen Bewachern schikaniert und die Fremdenlegion versuchte sie anzuwerben. Letztendlich gelang es den jüdischen Emigranten die Franzosen davon zu überzeugen, dass sie selbst nichts mehr mit Deutschland zu tun haben wollten.

Fortsetzung der Schiffsreise

24.10.1939

Am 24.10.1939 konnte die Reise nach Südamerika auf dem Schiff „Kerguelen“ der Chargeur Reunis fortgesetzt werden. Die Atlantiküberquerung erfolgte aufgrund der Gefahr durch deutsche U-Boote im Zick-Zack-Kurs. Im brasilianischen Santos gingen die ersten jüdischen Passagiere von Bord. Die meisten verließen das Schiff in Montevideo. Von den Flüchtlingen waren nur noch die Cohens an Bord, um nach Buenos Aires weiterzureisen.

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Ankunft in Buenos Aires – Krankheit und Tod des Onkels

1.11.1939

Das Schiff erreichte am 1. November schließlich den Einwanderungshafen von Buenos Aires. Der Gesundheitszustand von Werners Onkel Ernst hatte sich während der letzten Tage der Schifffahrt so sehr verschlechtert, dass er in Buenos Aires sofort ins Krankenhaus kam. Ernst Cohen hatte im marokkanischen Lager wegen der enormen Hitze Brunnenwasser getrunken und war aufgrund dessen während der Fahrt an Gelbfieber erkrankt. Wenige Tage nach der Ankunft verstarb er.

Ein neuer Anfang auf eigenen Füßen

Der jüdische Hilfsverein in Buenos Aires nahm sich daraufhin der Familie Cohen an. An eine Weiterfahrt nach Bolivien war nicht mehr zu denken. Die Tante, Frieda Cohen, fand bei einer jüdischen Familie eine Stelle als Kinderfrau und wohnte dort mit ihrer Tochter Margit.

Werner wusste zunächst nicht, wo er wohnen sollte. Schließlich ging er ins Ludwig-Tietz-Heim, wo alleingelassene junge Einwanderer unterkommen konnt en. Mit einem Koffer und 5 RM in der Tasche begann für ihn mit 18 Jahren ein neues Leben.

Vergebliche Bemühungen Visa für die Eltern und Verwandten zu erhalten

Werner musste so schnell wie möglich Geld verdienen, wenn er noch die Ausreise seiner Eltern aus Deutschland organisieren wollte. Er bot seine Dienste als Textil- und Entwurfszeichner an und verdiente nach einigen Fehlschlägen so ein erstes Geld. Sein Verdienst reichte jedoch nie um Einreisevisa für seine Familie besorgen zu können. Die Preise für Visa stiegen, da viele Menschen an der Not der Ausreisewilligen verdienten, und die Aufnahmestaaten machten schrittweise dicht.

 

„Eine im Juli 1938 im französischen Evian durchgeführte internationale Flüchtlingskonferenz hatte den Vertretern der Vökerbundstaaten die schon zu diesem Zeitpunkt beinahe ausweglose Situation der deutschen Juden noch mal vor Augen geführt. Reaktionen blieben aus, die Aufnahmekontingente verkleinerten sich kontinuierlich. Englands Haltung im Mandatsgebiet Palästina änderte sich nicht und blieb gegenüber Juden einwanderungsfeindlich, so dass nur kleine Gruppen dorthin gelangen konnten. Konsequenz dieser Großwetterlage war, dass solche Flüchtlinge wie Werner Cohen meist nichts mehr für ihre Angehörigen im weit entfernten Europa tun konnten.“ (s. Juden in Kalkar, S. 36)

Werners Vater starb in einer „Heil- und Pflegeanstalt“ in der Nähe von Buchenwald (Euthanasieanstalt). Seine Mutter Paula nach der Deportation nach Riga im KZ Stutthof und sein über 80 Jahre alter Großvater sowie sein Bruder Gabriel wurden aus den Niederlanden in KZ Sobibor deportiert und dort umgebracht.

Aufbau eines Unternehmens

1945

Nachdem sich Werner mit mehreren Stellen über Wasser gehalten hatte, begann er mit einem Partner in einer alten Ölfabrik mit dem Aufbau eines eigenen Textilfärbe- und Textildruckunternehmens. Im Laufe von 40 Arbeitsjahren wurde dieses zu einem der größten Werke dieser Art in Argentinien. Er hatte  ca. 250 Mitarbeiter und unterhielt Geschäftskontakte in die ganze Welt.

Heirat und Familie

1950

Im Jahre 1950 heiratete Werner Cohen die aus dem italienischen Alessandria stammende Jüdin Eugenia Pugliese. Anfang der 50ger –Jahre wurden seine beiden Kinder Liliana und Hugo geboren. Heute ist er zweifacher Großvater. Die Enkel heißen Felix und Gabriel Antu und leben ebenfalls in der argentinischen Hauptstadt.

1989

Anfang der 60ger-Jahre kam Werner Cohen erstmals wieder nach Kalkar. Diesem folgten noch zwei weitere Besuche in seiner alten Heimatstadt.

Dateiname: cohenw.htm
Datum: 06.04.2010
Erstellt von: Ruth Warrener
Fotografien: Stadtarchiv Goch, Gemeindearchiv Rheurdt
Fotosammlung Daniel Cohen, Fotosammlung Ruth Warrener