Projekt: Verlorene Kindheit
Jüdische Kinder aus
Goch und Uedem
Mit unserem Projekt „Verlorene Kindheit“ möchten wir auf das
Schicksal jüdischen Kinder und Jugendlicher aus Goch und Uedem in der
Zeit des Nationalsozialismus aufmerksam machen.
Was macht ein wertvolles Kinderleben aus?
In der Geborgenheit und Fürsorge der Familie zu leben, seine
Persönlichkeit frei entfalten zu können, Gesellschaft und Freunde jeder
Art zu haben, eine Schule zu besuchen, genug zu Essen zu haben, vor
körperlicher und seelischer Gewalt geschützt sowie an Entscheidungen
beteiligt zu werden sind sicherlich einige wichtige Punkte, die hier
genannt werden können. Diese Rechte bzw. Kinderrechte sind heute sogar
durch eine Reihe von Deutschen Bundesgesetzen und durch die
UN-Kinderrechte in unserem Land schriftlich formuliert und weitgehend
gesichert worden. Aber sie galten nicht immer!
Kinder ohne Rechte, Möglichkeiten und Zukunft
Alle oben genannten Merkmale einer wertvollen und glücklichen
Kindheit trafen für das Leben der jüdischen Kinder in der Zeit des
Nationalsozialismus nicht zu. Viele jüdische Kinder konnten nicht in
der Geborgenheit der Familie leben. Entweder wurden sie, wie Leni Valk,
in ein fremdes Land geschickt, oder sie wurden gemeinsam mit den Eltern
in Konzentrationslager deportiert und dort ermordet.
Ein Schulbesuch war für jüdische Kinder spätestens ab 1938 auf
öffentlichen Schulen nicht mehr möglich. Auch viele Ausbildungen
mussten aufgrund der Umstände abgebrochen werden. Ein Studium war
ebenso nicht möglich.
Das Recht auf "Gesellschaft und Freunde jeder Art" war bereits ab 1933
eingeschränkt. Ende der der 30er Jahre war dann fast die vollkommene
Isolierung jüdischer Einwohner erreicht. Aufgestachelt von ihren
Eltern, der Schule und der Hitlerjugend wollten viele Gleichaltrige
nichts mehr mit jüdischen Kindern zu tun haben. Die antijüdische
Haltung einer Mutter sorgte z.B. auch dafür, dass Leni Valk in Goch
nicht den Kindergarten besuchen konnte. Ellen Hofmann wurde 1934 von
höchster Stelle, nämlich vom Ortsgruppenleiter Salzmann, verboten,
weiterhin an öffentlichen Auftritten ihrer Schule, teilzunehmen. Auch
eine Mitgliedschaft in Vereinen, wie z.B. Fußballvereinen, war nicht
mehr möglich. Der Lebens- und Spielraum wurde immer weiter
eingeschränkt. Jüdische Kinder durften keine Schwimmbäder, Kinos,
Spielplätze oder Parkanlagen besuchen. Fast überall hingen Schilder mit
der Aufschrift: „Für Juden verboten!“. Schließlich wurde die
Ausgrenzung durch den so genannten „Judenstern“ auch noch äußerlich
sichtbar gemacht. Wie fürchterlich muss es für die jüdischen Kinder
gewesen sein, so optisch ausgeschlossen zu werden und z.B. bei einem
Gang durch die Stadt noch in der Gosse gehen zu müssen. Die Benutzung
von Bürgersteigen war Juden in den 40er Jahren nämlich untersagt worden.
Nach 1938 nahm auch die Bedrohung und Gewalttätigkeit ständig zu. In
der Reichspogromnacht am 9.11.1938 wurde die Gocher Synagoge
angezündet. Es wurden viele jüdische Geschäfte zerstört sowie
geplündert und anschließend wurden auch die Privatwohnungen durchsucht
und verwüstet. In den Schilderungen von Margot Cohen wird deutlich,
welche Angst sie mit ihren damals 6 Jahren ausstehen musste.
Anschließend wurde auch noch ihr Vater sowie der Vater von Leni
Valk verhaftet und musste für einige Zeit ins Gefängnis und ins
Konzentrationslager Dachau.
Diese ständige Angst vor Ausschreitungen, Verhaftungen und Deportation
bzw. Ermordungen spielte von diesem Zeitpunkt an eine große Rolle in
ihrem Leben. Die Kinder, die von ihren Eltern in die Niederlande
geschickt worden waren, mussten nun ohne Eltern bei Verwandten (Leni
Valk, Rolf-Peter Stern) oder in Pflegefamilien bzw. Waisenhäusern
wohnen (Margot, Herbert und Gabriel Cohen, Joseph Seligmann). Herbert
und Gabriel Cohen hatten in Amsterdam 1942/1943 verschiedene Adressen
und versuchten sich so den Razzias der Deutschen zu entziehen
(Deutschland hatte 1940 die Niederlande überfallen). Manchmal durften
sie sich nur nachts in den Familien aufhalten und mussten sich tagsüber
auf der Straße durchschlagen. Ab 1941 in Deutschland und ab 1942 in den
Niederlanden erfolgten die ersten Deportationen in die
Konzentrationslager oder Ghettos im Osten. Jeder konnte einen Koffer
und Verpflegung sowie 50 Reichsmark mitnehmen. Alles andere musste
zurückgelassen werden. Edith Devries aus Weeze, die mit 4 Jahren nach
Theresienstadt (Tschechoslowakei), gebracht wurde, berichtet in ihren
Vorträgen immer noch, wie sehr sie sich gewünscht hatte, eine Puppe
mitnehmen zu können. Dieser Wunsch konnte weder bei ihr noch z.B. bei
Margot Cohen in Erfüllung gehen, da in einem kleinen Koffer kein Platz
für Spielzeug war.
Von den 20 jüdischen Kindern und Jugendlichen aus Goch sind 11 in den
Konzentrationslagern ermordet worden. Die anderen überlebten, weil sie
in die Vereinigten Staaten (Eva und Leah Willner), nach Argentinien
(Werner Cohen, Heinz Sternefeld) oder in die Niederlande ausgewandert
und dort untergetaucht waren (Lore und Rosemarie Kann, Margot Cohen).
Joseph Seligmann kämpfte als Partisan auf belgischer und
niederländischer Seite und trat später in die Niederländische Armee ein.
Aber auch die Kinder und Jugendlichen, die überlebt hatten, verloren
zwar nicht ihr Leben, aber oft ihre ganze Familie. Je nach Alter waren
sie nur kurze Zeit oder gar nicht zur Schule gegangen. Sie lebten
anschließend bei Verwandten, die sie nicht kannten, oder bei Fremden.
Aufgrund der kaum vorhanden Schulbildung und der schlechten
finanziellen Lage konnten sie meist nicht den Beruf ergreifen, den sie
gerne gehabt hätten. Die Enkelin von Heinz Sternefeld, der aus einer
sehr reichen jüdischen Familie kam, berichtet, dass er sich nach seiner
Ankunft in Argentinien und auch im späteren Verlauf seines Lebens mit
vielen Aushilfsarbeiten durchschlagen musste und dass er sein Leben
lang deshalb unglücklich war.
Gegen das Vergessen!
Auf dieser Webseite wollen wir nun das Schicksal der jüdischen
Kinder aus Goch und Uedem darstellen. Auf diese Weise wollen wir dazu
beitragen, dass ihr Andenken bewahrt wird und ihre Namen nicht
vergessen werden.
Mein Dank
Mein Dank gilt insbesondere dem Wahlpflichtkurs Informatik des 10er
Jahrgangs, für euer Interesse an diesem Thema und eurem Einsatz bei der
Gestaltung, der Bildsuche, der Recherche und der Erstellung dieser
Webseite.
Für die Hilfe im Rahmen der Foto- und Informationsbeschaffung bedanke
ich mich ganz besonders bei:
- Dr. Micha Ofir und Leah sowie Daniel Cohen für die vielen
Informationen und das Bildmaterial zur Familie Oppenheimer
- Herrn Hans-Joachim Koepp, dem Stadtarchivar von Goch, der
uns zahlreiches Bild- und Informationsmaterial zur Verfügung stellte
- Herrn Johannes Nolte (Schulleiter der Geschwister Devries
Grundschule Uedem) für die Informationen und Materialien zu den
Geschwister Devries
- Miriam Mijatovich Keesing für die Bilder von Herbert Cohen
und Dokumente zu Gabriel Cohen und Leni Valk
- Carla Machado für die Informationen und Bilder zu Heinz
Sternefeld
- dem Jüdisch Historischen Museum Amsterdam für die Bilder
zum Flüchtlingsheim Soesterberg
- Nicolette Ista und Frank Duveen für das Material zur
Familie Koppel/Kann
- Ursula Ultermann für das Material zur Familie Hoffmann,
Brünell
- Robin Devries für die zahlreichen Photos seines Vaters,
Frau Schimmelpfennig für das Material zu Rolf-Peter Stern
- und vielen anderen, die Materialien für diese Seite
geliefert haben.
Goch, 20.5.2015
Ruth Warrener
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